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16.03.2022

Stefan Wenzel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Heilmann, interessant waren auch Ihre ökonomischen Argumente, die Sie hier vorgetragen haben. Man muss vielleicht noch ergänzen, dass die Betreiber bis fast zuletzt gesagt haben: Wir wollen nicht mehr

(Thomas Heilmann [CDU/CSU]: „Bis fast zuletzt“, eben! – Karsten Hilse [AfD]: „Bis fast zuletzt“!)

– hören Sie erst mal zu –, wir haben unsere Unternehmensstrategie neu ausgerichtet, wir haben ein neues Geschäftsmodell. Dann gab es ein oder zwei, die gesagt haben: Wenn der Staat die vollständige Haftung und die vollständige Finanzierung übernimmt, dann tritt möglicherweise ein Sinneswandel ein.

(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Hört! Hört!)

Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Was heißt das unter den Sicherheitsbedingungen? Ich trete gerne mit jedem, der das für richtig hält, in die Diskussion.

Aber ich will vorweg noch etwas anderes ansprechen, und zwar das, was wir in den letzten Wochen in der Ukraine gesehen haben, was bis dahin undenkbar war: Angriffe auf Atomkraftwerke mit zwei Panzern, mit zehn Fahrzeugen, in dem einen Fall mit Schüssen in die Anlage hinein; Betriebsmannschaften, die seit drei Wochen in Geiselhaft sind, die über Wochen nicht ausgetauscht wurden, die ihre Familien nicht sehen konnten. Man muss sich vorstellen, was das heißt, wenn man zwangsweise in so einer Situation am Arbeitsplatz festgehalten wird. Man weiß nicht, was die Frau, was die Kinder, was der Mann gerade machen, wo sie sind. – Meine Damen und Herren, das ist wirklich der Wahnsinn. Dazu kommen viele andere Dinge: fehlende Ersatzteile, Behinderungen der Feuerwehr, Unterbrechungen der Stromversorgung. Das ist ein ganz entscheidender Punkt. Ein Atomkraftwerk braucht nämlich Kühlung, auch wenn das Stromnetz ausfällt. Der Notstromgenerator reicht für ein paar Tage. Allerdings meldet heute Abend die „Süddeutsche Zeitung“, dass es gelungen ist, das ukrainische Stromnetz an das kontinentaleuropäische Netz anzuschließen – ein kleiner Lichtblick in einer ansonsten sehr düsteren Lage.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, was auch bemerkenswert war: Wir hatten eine Vertreterin der Internationalen Atomenergieagentur im Umweltausschuss zu Gast, um zu hören, wie die Situation in der Ukraine ist. Das, was am meisten beunruhigt, betrifft das Safeguards System – das ist sozusagen der Heilige Gral der Sicherheitsfunktionen –, das verhindern soll, dass unzulässig waffenfähiges Material weitergegeben wird. Die IAEA hat bei zwei Anlagen in der Ukraine den Kontakt zu ihrem Kontrollsystem verloren. Der Kontakt ist unterbrochen. Sie kann in diesem Moment nicht mehr sehen, was dort passiert. Dieses Kontrollsystem ist eine unabdingbare Voraussetzung für den Betrieb von Anlagen, für den Umgang mit Kernmaterial, meine Damen und Herren. Das ist ein Vorgang von ganz besonderer Tragweite. Die Ukraine hat als einziges Land der Erde freiwillig ihre Atomwaffen abgegeben. Die Kontrollen der IAEA spielen deshalb eine sehr wichtige Rolle, wenn es gilt, beispielsweise perfide Unterstellungen von russischer Seite abzuwehren und zurückzuweisen. Das muss man leider sehr ernst nehmen.

Meine Damen und Herren, wir haben in der Tat eine neue Realität. Das Völkerrecht ist hier völlig klar: Angriffe auf Atomkraftwerke sind völkerrechtswidrig. – Trotzdem ist genau dieser Fall eingetreten. Wir sehen eine hybride Form der Kriegsführung, die mit den Ängsten von Menschen spielt, die, wie wir wissen, in der Ukraine Erfahrungen mit einem Reaktorunfall gemacht haben. Atomkraftwerke wurden und werden hier zur Waffe des Gegners im eigenen Land.

Die Abwesenheit von Krieg war und ist Prämisse für die Sicherheitsanforderungen von Atomkraftwerken. Kein Atomkraftwerk ist für solche Situationen ausgelegt,

(Beifall des Abg. Timon Gremmels [SPD])

weder im Osten Europas noch im Westen Europas oder in irgendeinem anderen Land der Welt. Die Anforderungen an Sicherheit und an Sicherung – „Sicherung“ ist ein sehr, sehr wichtiges Wort; Sicherung gegen Einwirkungen Dritter heißt es in den entsprechenden Regelwerken – müssen daher auf den Prüfstand.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Es ist bezeichnend, meine Damen und Herren, dass das Wort „Sicherung“ in Ihrem Antrag überhaupt nicht auftaucht. Kein Wort, nichts, gar nichts dazu. Das allein ist in einer solchen Situation, wo wir über eine solche Lage in der Ukraine reden, wirklich ein Hammer.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Ein weiterer Punkt. Wir reden in diesen Tagen viel über Abhängigkeiten. Da werden in der Regel Öl, Kohle und Gas genannt. Ein Punkt wird vergessen: Die Abhängigkeit von russischen Lieferungen ist bei Uran und Brennelementen noch größer.

(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)

18 Atomkraftwerke in Europa haben nur noch einen Lieferanten für Brennelemente, und der sitzt in Russland. Beim Uran kommen 53 Prozent der Welturanproduktion aus Russland, Kasachstan und Usbekistan. Die Uranlieferanten für europäische Atomkraftwerke kommen zu 40 Prozent aus Russland und Kasachstan, 20 Prozent aus Niger, wo in der Nachbarschaft mittlerweile merkwürdigerweise die „Gruppe Wagner“ aktiv ist.

(Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)

Meine Damen und Herren, mit Ihren Vorschlägen kommen wir bei Abhängigkeit und Erpressbarkeit vom Regen in die Traufe.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ich stelle fest, dass Ihre Feststellungen in Ihrem Antrag schlicht falsch sind, sowohl was die ökonomischen Fragen angeht als auch was Sicherheit und Sicherung angeht. Nicht zuletzt muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen, was mit dem Speicher von Gazprom, dem Astora-Speicher in Rehden, passiert ist. Wenn man sich die Einspeicherung anguckt, dann stellt man fest: Schon vor einem Jahr wurde dieser Plan angelegt. – Das kann man an den Speicherkurven sehen, meine Damen und Herren.

Vizepräsidentin Petra Pau:

Kollege.

Stefan Wenzel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Das sollten Sie sich zu Herzen nehmen.

Ich bin dem Kollegen Heilmann auch dankbar dafür, dass er auf den ersten Satz Ihrer Begründung hingewiesen hat. Der spricht wirklich Bände.

Ich danke Ihnen herzlich fürs Zuhören.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Das Wort hat der Kollege Ralph Lenkert für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)