Rede von Dr. Franziska Brantner Arbeitsprogramm der EU-Kommission 2021
Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bringe uns jetzt von Kuba einmal wieder zurück in den Bundestag. Heute und morgen findet der europäische Gipfel statt. Es geht um die Gesundheit von uns allen, um Corona und um unsere Sicherheit. Aber leider gibt es dazu vorab wieder einmal keine Regierungserklärung der Kanzlerin. Die gab es auch nicht vor der Corona-Ministerpräsidentenkonferenz, und es gibt sie jetzt nicht vor den europäischen Regierungsgipfeln. Ich kann nur sagen: Das ist eine eklatante Missachtung des Parlamentes, und damit muss jetzt endlich Schluss sein!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Dafür sprechen wir heute über das Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission, und das ist ambitioniert. Aber ob die Umsetzung ambitioniert sein wird, das hängt von den Mitgliedstaaten ab und davon, ob Sie als Bundesregierung endlich von der Bremse kommen. Ein gutes Beispiel dafür ist der Klimaschutz, der Green Deal. Sie haben den Klimaschutz in Ihrer Ratspräsidentschaft total vernachlässigt. Die Einigung zu den Klimazielen innerhalb der Mitgliedstaaten kam erst im Dezember letzten Jahres. Deswegen laufen jetzt immer noch die Verhandlungen zum Klimaschutzgesetz. Sie stehen erst beim Gipfel im März wieder auf der Tagesordnung. Damit haben wir sehr viel wertvolle Zeit verloren, die wir eigentlich gar nicht haben.
Die Europäische Kommission hat die Bundesregierung jetzt vor den Europäischen Gerichtshof gebracht, weil Sie seit Jahren die Vertragsverletzungsverfahren beim Naturschutzrecht einfach ignorieren. Es ist unglaublich, dass Sie das europäische Naturschutzrecht bei uns nicht umsetzen, und es ist ein Armutszeugnis, dass wir jetzt deswegen vor dem Europäischen Gerichtshof stehen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Auch der Totalausfall bei der Agrarpolitik trägt die Handschrift von Julia Klöckner. Da gehen weiterhin die Milliarden in die Agroindustrie, statt endlich die Agrarwende voranzubringen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Dabei ist es wirklich an der Zeit, mit diesen Hilfsmilliarden den Green Deal wirklich umzusetzen, und da muss die Agrarpolitik ihren Beitrag leisten. Gehen Sie endlich dafür von der Bremse!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sie verschleppen bei allen Themen den europäischen Green Deal, weil Sie Angst davor haben, dass Sie ihn dann auch zu Hause umsetzen müssten.
Frau Merkel muss sich heute beim europäischen Gipfel zu Recht viel Kritik von ihren Kolleginnen und Kollegen anhören. Minister Seehofer hat nämlich vor drei Wochen wieder einmal unabgestimmte Grenzkontrollen erlassen und damit die Grenzregion ins Chaos gestürzt, die Nachbarn düpiert und die Fehler der ersten Welle wiederholt.
(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Damals hat Herr Kretschmann angerufen!)
Es ist wirklich ärgerlich, dass wir wieder in einer Situation sind, dass sich zum Beispiel unverheiratete Paare nicht wiedersehen können
(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Herr Kretschmann wollte das!)
und verheiratete Paare nur gleichzeitig einreisen dürfen. Aus Portugal darf momentan nicht einmal die Ehefrau einreisen, wenn der Ehemann in Deutschland ist – das geht nicht; die müssen gleichzeitig einreisen. Das ist doch ein absoluter Wahnsinn, und es ist einfach nur ärgerlich, dass wir wieder diesen großen Mist haben, den wir schon vor einem halben Jahr hatten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Es ist wirklich nicht erträglich, dass Sie immer noch keine Taskforce für die Grenzregion eingesetzt haben, dass Sie diese Probleme während der deutschen Ratspräsidentschaft nicht rechtzeitig angegangen sind und sich jetzt unsere europäischen Partner berechtigterweise wieder über uns ärgern.
Das Gleiche gilt mit Blick auf die Frage der Impfstoffproduktion. Wir wissen, dass es besser gewesen wäre, wenn die Europäische Union nicht nur gemeinsam bestellt, sondern auch gemeinsam bezahlt hätte. Wir wissen mittlerweile, dass es richtig gewesen wäre, nicht nur in die Innovation zu investieren, sondern auch in die Produktion. Diese Fehler liegen aber nicht nur an der Europäischen Kommission, sondern auch an den Mitgliedstaaten, die in dem Lenkungskreis ständig und regelmäßig involviert sind. Deswegen habe ich mich gewundert und war wirklich erschreckt darüber, dass die SPD, die täglich darüber mit informiert ist, die im Herbst mitgemacht hat, jetzt im Frühjahr auf einmal die Europäische Kommission dafür angreift. Das ist wirklich einfach nur Wahlkampf und schadet der Europäischen Union.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Jetzt haben wir eine europäische Impfstoff-Taskforce bei Breton. Wir haben seit letzter Woche auch einen nationalen Impfstoffbeauftragten. Das ist alles einfach viel zu spät. Wenn wir die Debatte von vorhin verfolgt haben, werden viele wahrscheinlich sagen: Jetzt brauchen wir den Schnelltestbeauftragten. – Als Nächstes werden wir den Beauftragten für Coronamedikamente brauchen.
Es ist absehbar, dass wir bei den notwendigen medizinischen Produkten immer Engpässe haben. Das war schon bei den Masken so. Deswegen brauchen wir jetzt endlich auf europäischer Ebene ein vergleichbares Instrument, wie es die Amerikaner auch machen, um bei all den medizinischen Produkten, die wir brauchen, entlang der Lieferketten zu koordinieren, zu regulieren und zu investieren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich erhoffe mir wirklich, dass die Bundesregierung, dass Sie, Herr Maas, sich jetzt massiv dafür einsetzen, dass der Vorschlag der Europäischen Kommission umgesetzt wird, HERA aufzubauen, also eine Agentur, die diese Aufgaben übernehmen kann. Es ist spät in der Pandemie, aber vielleicht noch nicht zu spät. Fangen Sie jetzt an, hier endlich richtig Druck hineinzubekommen, damit wir bei den nächsten Wellen schneller und hoffentlich vor der Welle sind und nicht wieder hinterherhecheln.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, die EU-Kommission hat sich auch mit Blick auf Rechtsstaatlichkeit einiges vorgenommen. Aber da liegt eine große Aufgabe bei Ihnen: Schließen Sie sich jetzt endlich den 14 Länderdelegationen Ihrer eigenen Schwesterparteien an. Machen Sie endlich den Schritt und sprechen Sie sich dafür aus, die Partei von Viktor Orban, Fidesz, aus der konservativen Europäischen Volkspartei herauszuschmeißen. Das wäre einer der erfolgreichsten Hebel, die wir im Kampf für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in Europa haben. Hier müssen CDU und CSU jetzt endlich einmal Farbe für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie bekennen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)