Rede von Katrin Göring-Eckardt Antisemitismus in Deutschland

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17.10.2019

Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Eine Woche ist vergangen, Tage voller Entsetzen und Trauer. Unsere Gedanken sind auch heute bei den Opfern, bei den Verletzten, bei den Angehörigen, insbesondere bei denen von Jana und Kevin, bei den Menschen, die in der Synagoge waren und um Haaresbreite einem furchtbaren Massaker entgangen sind, bei Izzet und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, in deren Imbiss ein Mensch erschossen worden ist, die vom Täter und von seinem rassistischen, antisemitischen Weltbild mitgemeint waren. Eine Woche – es könnten aber auch vier Wochen oder vier Jahre gewesen sein. Das Schlimme ist: Es könnte morgen wieder passieren. Ja, wir haben in Deutschland eine reale Terrorgefahr, nicht nur durch Islamisten, sondern auch durch Rechtsextreme, und der müssen wir begegnen, und zwar konsequent und nicht erst seit heute.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Wachen Sie auf, meine Damen und Herren! Eine junge Jüdin aus den USA, die an Jom Kippur in der Synagoge in Halle war, sagte am Sonntag der ARD: Schuldgefühle der Deutschen helfen uns nicht. Uns helfen Taten. – Heute hat Richard Schneider in einem Beitrag für „Zeit Online“ Folgendes gesagt:

… ich will als Jude in meinem Alltag frei leben und atmen können. Es gab Zeiten, da hatte ich geglaubt, das sei möglich in Deutschland. Es war möglich. Heute ist es nicht mehr möglich.

Er hat Deutschland, seine Heimat, verlassen. Ich finde, das ist kein Alarmsignal, kein Warnsignal, sondern das ist die Situation in unserem Land, der wir endlich, endlich mit Taten begegnen müssen, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Jan Korte [DIE LINKE])

Dazu gehört es, dass wir der Wahrheit mit Klarheit ins Auge blicken. Der NSU, der Mord an Walter Lübcke, mindestens 169 weitere Todesopfer rechtsextremer Gewalt seit 1990, etwa 1 600 antisemitische Straftaten im letzten Jahr von rechter Seite – das ist der Befund in unserem Land. Deswegen müssen Sie endlich der Realität ins Auge blicken und dürfen eben nicht mehr wegschauen – nicht bei den Sicherheitsbehörden, nicht bei Hass und Hetze, online und offline. Sie dürfen sich nicht wegducken bei der Stärkung der Demokratie und der Zivilgesellschaft. Das sind drei große Bereiche, und Sie müssen sich heute sagen lassen: Sie haben zu lange weggeschaut, Sie haben zu lange nicht oder nur halbherzig gehandelt. Deswegen sage ich Ihnen: Fangen Sie jetzt endlich an! Es ist der allerletzte Moment dafür.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Herr Seehofer, Sie haben uns hier sechs Punkte vorgelegt. Ich will zu einigen Stellung nehmen. Ihre Aussage, in der Sie von einem Einzeltäter sprechen, zeigt, dass Sie es wieder nur halbherzig angehen. Nein, der Täter hasste nicht allein. Völkische Siedler, Reichsbürger, Combat 18, die rechtsextremistische Szene – sie alle sind online und offline extrem vernetzt. Wir müssen doch jetzt genau hinschauen. Wir müssen herausfinden, in welchen Netzwerken er unterwegs war.

(Beatrix von Storch [AfD]: Was ist mit unserem Combat-18-Verbotsantrag?)

– Frau von Storch, schreien Sie ruhig herum. Das, was Ihr Fraktionsvorsitzender, Herr Gauland, sich heute geleistet hat, ist, sich hier hinzustellen und angesichts der Opfer von Halle und der Angst in der Synagoge in Halle, angesichts der Angst,

(Armin-Paulus Hampel [AfD]: Die Sie instrumentalisieren wollen! Pfui Deibel! Sie wollen sie instrumentalisieren, Frau Göring-Eckardt!)

die in dieser Stadt und im ganzen Land bei Jüdinnen und Juden herrscht, ausgerechnet die AfD als Opfer darzustellen. Das ist wirklich eine Schande für dieses Land und dieses Parlament, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wie kann es sein, dass unser Verfassungsschutz immer noch nicht genau weiß, wie viele potenzielle Gewalttäter wir auf der rechten Seite tatsächlich haben? 12 500 Rechtsextremisten gelten als gewaltbereit. Nur 43 sind als Gefährder eingestuft. Noch immer klappt die Zusammenarbeit zwischen Bund und Länder sowie Ländern und Ländern nicht. Ja, das ist eine echte Gefahr. Das Gemeinsame Extremismus- und Terrorabwehrzentrum hat noch immer keine Rechtsgrundlage. Ich bin froh, dass Sie jetzt über das Netzwerkdurchsetzungsgesetz reden, aber Sie müssen dann auch konsequent sein. Ich bin froh, dass Sie jetzt darüber reden, dass sich beim Waffenrecht etwas ändern muss. Natürlich! Der Täter hatte seit 2015 eine Waffe aus dem Darknet.

(Armin-Paulus Hampel [AfD]: Selbst gebastelt!)

Ja, ein mutmaßlicher Helfer des Lübcke-Mörders ist ein verurteilter Rechtsextremist und legal Waffenbesitzer. Darüber müssen Sie sich doch klar sein. Machen Sie es nicht wieder nur halbherzig! Wir werden heute darüber diskutieren, aber ich bitte Sie: Seien Sie endlich konsequent – auch beim Waffenrecht. Das sind wir den Opfern schuldig; das ist nötig, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Karamba Diaby [SPD] und Jan Korte [DIE LINKE])

Wir können die Sicherheit von Jüdinnen und Juden in unserem Land und von anderen nicht allein einer Holztür überlassen. Lokalpolitikerinnen und Lokalpolitiker, Flüchtlingshelfer, Menschen, die sich im Rahmen von Aussteigerprogrammen engagieren – hier handeln Menschen. Wie sähe unsere Gesellschaft ohne ihr Engagement aus?

Was erleben wir gleichzeitig? Solche Programme wie „Demokratie leben!“ – Frau Sitte hat darauf hingewiesen – sind immer wieder in Gefahr. Wir haben immer noch keine Anlaufstellen für Betroffene. Ich habe so ein bisschen das Gefühl, der Ernst der Lage ist immer noch nicht erkannt worden. Heute hat Frau Giffey wieder angekündigt, ein Demokratieförderungsgesetz zu machen. Wissen Sie, wann die Bundesregierung das das erste Mal angekündigt hat? Nach dem Anschlag vom Breitscheidplatz. Wie viele Jahre sind seitdem vergangen? Wir haben es immer noch nicht. Ich wiederhole meinen Appell: Handeln Sie jetzt wirklich konsequent und beherzt!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir brauchen es für den Zusammenhalt und die Sicherheit in unserer Gesellschaft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ja, zwischen den Tatorten und dem Zentrum der rechtsextremen Identitären Bewegung liegt nur ein Kilometer. Die Täter von Halle, die Identitären, sehen sich in einem Rassekrieg. Herr Kubitschek, Ihr geistiger Vater, tut das.

(Armin-Paulus Hampel [AfD]: Ich habe einen anderen Vater! Tut mir leid, Frau Göring-Eckhardt! – Gegenruf der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reißen Sie sich doch mal zusammen!)

– Ich habe gesagt: Ihr geistiger Vater. – Wie viele von Ihnen – Frau Sitte hat darauf hingewiesen – sind in Schnellroda gewesen?

(Armin-Paulus Hampel [AfD]: Sie laufen doch mit den Vaterlandsverrätern und Kommunisten! Sie laufen doch mit! Sie reihen sich in jede antidemokratische Demonstration ein! Unglaublich!)

Wie viele von Ihnen glauben mit Herrn Höcke gemeinsam, dass man Teile des Volkskörpers abspalten muss? Wie viele von Ihnen versuchen, die Demokratie, das demokratische System in diesem Land, abzuschaffen? Das ist das, was Sie wollen.

(Armin-Paulus Hampel [AfD]: Das ist Quatsch! So ein Blödsinn! – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Erzählen Sie keine Märchen!)

Das ist das, wogegen wir aufstehen, weil wir an der Seite der Jüdinnen und Juden in unserem Land stehen,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

weil wir an der Seite derjenigen stehen, die Opfer von Rassismus sind und die sich bedroht fühlen und weil wir dieses demokratische Land, diesen Rechtsstaat schützen werden, und zwar mit rechtsstaatlichen Mitteln.

(Armin-Paulus Hampel [AfD]: Sie Verbotspartei! Sie wollen den demokratischen Rechtsstaat schützen? Sie laufen mit Antifa jeden Tag auf der Straße rum!)

Wir werden klarmachen, dass Sie keine Chance haben, dieses Land zu zerstören, meine Damen und Herren von der AfD.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Das Wort hat der Kollege Thorsten Frei für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)