Rede von Robin Wagener Aktuelle Stunde – Kachowka-Staudamm in der Ukraine

Robin Wagener MdB
14.06.2023

Robin Wagener (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Ich bitte darum, meine Großmutter und meinen Opa zu retten. Oleschky, Sosnowaja-Str. 12. Zwei ältere Menschen, 80+. Der Mann kann nicht laufen, kann nicht schwimmen, hat Herzprobleme. Er benötigt dringend medizinische Hilfe.“ „ Zwetotschnaja-Str. 13 – 2 ältere Menschen, meine geliebten Eltern. Seit zwei Tagen sitzen sie auf dem Dach ihres Gartenhauses . Ihr Haus ist zerstört. Ohne Wasser und Essen.“ So zitierte der „Spiegel“ vergangene Woche Hilferufe Betroffener von der russisch kontrollierten Flussseite.

Fast im Minutentakt flehten die Menschen in Telegram-Chatgruppen um Rettung. Vergangene Woche ereignete sich die wohl schlimmste menschengemachte Naturkatastrophe, die Europa in der jüngeren Vergangenheit erlebt hat. Nach der Sprengung des Kachowka-Staudamms spülten Wassermassen, die etwa einem Drittel des Bodensees entsprechen, über eine vom russischen Angriffskrieg ohnehin gebeutelte Region.

(Zuruf des Abg. Dr. Harald Weyel [AfD])

Insgesamt 46 Siedlungen im Chersoner und 31 Siedlungen in Mykolajiwer Oblast wurden überflutet, und Zehntausende Menschen waren unmittelbar vom Tod durch Ertrinken bedroht. Jenseits der Frage gerichtsfester Beweiskraft ist die bewusste Sprengung durch die russische Seite das mit Abstand wahrscheinlichste Szenario.

Die eben zitierten Hilferufe waren nur zwei Beispiele. Es gäbe unzählige mehr davon. Es waren Beispiele aus vorübergehend russisch besetztem Gebiet. Aus lokalen Quellen wissen wir, dass viele der Menschen vergeblich um Hilfe riefen. Die russischen Besatzer haben die Menschen in den von ihnen kontrollierten Gebieten ihrem Schicksal überlassen. Und nicht nur das: Am Sonntag meldeten lokale Medien, dass Russland die überflutete Stadt Hola Prystan unter „Quarantäne“ stellt und Evakuierungen verhindert – unfassbar brutal, die Menschen nicht nur nicht zu retten, sondern sie auch noch in den überfluteten Gebieten festzuhalten.

Auch Evakuierungen auf der von der Ukraine kontrollierten rechten Seite des Dnjeprs gestalteten sich als schwierig, weil nicht genügend Boote zur Verfügung standen. Sie standen nicht zur Verfügung, weil die russischen Besatzungstruppen bei ihrem Abzug die Boote entweder zerstört oder gestohlen haben. Gleichzeitig schossen russische Truppen auf die Evakuierungsboote, die es dann gab, und Evakuierungspunkte.

Während die Rettungsarbeiten noch andauern, werden die verheerenden Folgen der Dammsprengung erst so richtig deutlich. Schon heute ist die Wasserversorgung von 700 000 Ukrainerinnen und Ukrainern betroffen. Die WHO warnt vor einem Cholera-Ausbruch. Außerdem hat das katastrophale Folgen für Natur und Umwelt – und damit auch für die Lebensgrundlagen. Die bewusste Zerstörung von Natur ist nichts weniger als ein Ökozid. Durch die Flut sind geschützte Feuchtgebiete und unzählige Tier- und Pflanzenarten bedroht – ein Anschlag auf die Lebensgrundlagen. Das gilt auch für die Landwirtschaft. Landwirtschaftliche Nutzflächen in immenser Größe wurden überschwemmt. Gleichzeitig sorgt der Rückgang des Kachowka-Reservoirs dafür, dass sich Felder in der gesamten Südukraine mit einer Nutzfläche von bis zu 500 000 Hektar im nächsten Jahr in Wüsten verwandeln könnten. Das hat Auswirkungen auf die Getreideexporte für die Welt. Wieder: Hunger als Waffe.

Meine Damen und Herren, seit Beginn der Vollinvasion wird uns immer wieder vor Augen geführt, dass Russland im Krieg gegen die Ukraine die Natur bewusst als Waffe und als Drohkulisse einsetzt. Was muss passieren?

Erstens: schnelle Soforthilfe. Als Erstes muss weiterhin humanitäre Hilfe für die betroffenen Menschen in den Flutgebieten geleistet werden.

Zweitens: eine engagierte Wiederaufbauhilfe für eine stärkere und moderne ukrainische Landwirtschaft, Industrie und Wirtschaft, und das gleichzeitig als Unterstützung der Schritte in die Europäische Union.

Drittens: eine klare Strafverfolgung. Die Verantwortlichen für die Dammsprengung, für diesen Zivilisationsbruch, für diesen Ökozid in der Ukraine, müssen zur Rechenschaft gezogen werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Viertens müssen wir uns vor Augen halten: Noch immer ist das AKW Saporischschja unter der gefährlichen Kontrolle der skrupellosen Besatzer. Deswegen braucht es sehr klare Ansagen der internationalen Staatengemeinschaft, dass der Einsatz von Massenvernichtungsmechanismen nicht geduldet wird und deutliche Folgen hat.

Und schließlich: Der einzige Weg, die russische Zerstörungswut und die verheerenden Folgen des Angriffskriegs gegen die Ukraine zu stoppen, ist die entschlossene und andauernde westliche Militärhilfe für die Ukraine; denn nur so kann sie Gebiete befreien und Menschen schützen. Ein Einfrieren des Konfliktes würde Hunderttausende der russischen Terrorherrschaft überlassen und das Risiko weiterer terroristischer Akte dieser Art erhöhen. Ich sage es deswegen in aller Deutlichkeit: Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen und ihre Menschen und Gebiete befreien.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

Für die Unionsfraktion hat das Wort Dr. Johann Wadephul.

(Beifall bei der CDU/CSU)