Rede von Katrin Göring-Eckardt Aktuelle Stunde „Gewalt gegen Ehrenamt, Politik und Einsatzkräfte“

Foto von Katrin Göring-Eckardt MdB
16.05.2024

Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr verehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! In der Slowakei wurde Robert Fico verletzt, und wir können nur hoffen, dass – trotz aller Aggressionen in diesem Land, trotz aller Spaltung – seine Gesundheit vollständig wiederhergestellt wird. Und wir denken heute hier an ihn und seine Familie.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP und der Abg. Janine Wissler [Die Linke])

Schmähen, schreien, schlagen, Gewalt gegen Sachen, Gewalt im Netz, Gewalt gegen Personen, Hass gegen Jüdinnen und Juden, Enthemmung, Entgrenzung: Das alles ist gerade Alltag, und das ist falsch. Es hat nichts zu tun mit der „Würde des Menschen“ aus unserem Grundgesetz. Kein Mensch darf jemals in unserem Land Angst haben müssen, sich zu engagieren, politisch zu sein und seine Meinung zu sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Ich erinnere mich bis heute: Bei den Demos 1989 wusste ich am Tag nicht, ob ich mit meinem Säugling abends wieder bei der Familie bin oder im Gefängnis. Und ja, wir hatten Angst; aber wir waren auch beseelt. Wir waren beseelt von dem Wunsch, für Freiheit und für Demokratie, für freie Wahlen auf die Straße zu gehen.

(Jürgen Braun [AfD]: Flower-Power!)

Und auch deswegen werde ich immer alles dafür tun, dass diese Freiheit, dass diese Demokratie in unserem Land erhalten bleiben, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Dazu gehört: Gewalt – nicht, niemals und nirgendwo. Ich sage ausdrücklich: Gewalt geht nicht, gegen niemanden. Und das gilt – damit Sie es einmal von mir gehört haben, liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD – selbstverständlich auch für alle Gewalttaten, für alle Angriffe gegen Sie. Was denn sonst?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Zuruf des Abg. Steffen Janich [AfD])

Unsere Demokratie wäre nicht möglich ohne die, die anpacken, die aufstehen, die sich für andere aufreißen, sich kümmern, damit in unserem Land „der Laden läuft“, wie man so sagt. In Deutschland engagieren sich rund 29 Millionen Menschen freiwillig für das Gemeinwohl. Das sind Leute, die Plakate kleben, in der freiwilligen Feuerwehr arbeiten. Viele andere tragen aber auch die Demokratie beruflich, ob das Lehrer/-innen sind – nehmen wir die aus dem Spreewald –, ob das Rettungssanitäter sind in Dresden oder die Polizistinnen und Polizisten, deren Eltern als Gastarbeiter hierherkamen. Wir alle akzeptieren nicht, wenn versucht wird, das kaputtzumachen durch Einschüchterungen, durch verbale Angriffe, durch körperliche Attacken. Wir schützen die Demokratie in unserem Land.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, ich verstehe alle, die jetzt sagen: Will ich mir das eigentlich noch antun? Und genau diese Frage ist eine Gefahr für das Fundament unserer Demokratie. Denn sie lebt vom Mitmachen. Sie lebt davon, dass man keine Angst haben muss. Sie lebt davon, dass man mitmachen will.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)

Keine Stadt, kein Dorf darf politikfreier und schon gar nicht demokratiefreier Raum werden. Deshalb braucht es mehr Schutz. Ja, es braucht mehr Schutz und eine gut ausgestattete Polizei in Stadt und Land. Denn es reicht nicht aus, dass wir am 1. Mai sagen können: „Prima, in Berlin ist nichts passiert“, wenn dafür weniger Polizisten im ländlichen Raum und auf dem Dorf sind, die gar nicht schützen können, was wir eigentlich schützen wollen. Deswegen sind gut ausgestattete Polizeien auch eine Grundlage für unsere Demokratie. Ich bin den Polizistinnen und Polizisten ausdrücklich dankbar für ihren Einsatz.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Gleichzeitig will ich ausdrücklich bestätigen, was viele hier heute schon gesagt haben: Wir haben verschärfte Debatten. – Ja, das stimmt. Und es stimmt auch, dass Sie von der AfD immer weiter Öl ins Feuer gießen. Ich sage trotzdem an uns alle: Wir tun gut daran, wenn wir uns mehr zuhören und nicht zutexten. Wir tun gut daran, wenn wir vielleicht als Demokratinnen und Demokraten ab und zu annehmen, dass die und der andere auch einen Punkt haben könnten. – Ich weiß, das ist eine Zumutung für Opposition und Regierung; aber trauen wir uns diese Zumutung doch bitte gerne zu, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Deutschland ist in der Mehrheit im Großen und Ganzen ein Land der Anständigen. Wir können auf sie bauen. Und viele dieser Anständigen werden gerade – und das berührt mich sehr – zu Zuständigen, weil sie finden, dass das Land, in dem sie leben wollen, nicht gezeichnet sein soll von Häme und Gewalt, sondern von Zugewandtheit und Miteinander. Das sind Leute, denen ich heute danken will, die zum allerersten Mal auf einer Demonstration sind oder zum hundertsten Mal demonstrieren für unser demokratisches Gemeinwesen. Das sind Leute, die mitgehen, wenn jemand anders Plakate aufhängt. Das sind Leute, die reinreden, wenn Opa mal wieder rassistisches Zeug am Kaffeetisch erzählt. Und das sind Leute, die selbstverständlich zum Geburtstag gratulieren, zum Beispiel heute Jens Spahn, oder auch dann, wenn die Tessa Geburtstag hat, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Demokratinnen und Demokraten, die weichen nicht. Und um es mit dem alten Satz zu sagen: „Wir sind das Volk.“ Und deswegen stehen wir dafür ein.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)