Rede von Lisa Paus Aktuelle Stunde „Gewalt gegen Ehrenamt, Politik und Einsatzkräfte“

Foto von Lisa Paus MdB
16.05.2024

Lisa Paus, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend:

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuhörende! Wir sind erschüttert von dem Attentat auf Robert Fico, den slowakischen Ministerpräsidenten, gestern Nachmittag. Die Bundesregierung verurteilt den Mordversuch aufs Schärfste. Im Namen der Bundesregierung möchte ich hier die besten Wünsche für seine umfassende Genesung übermitteln.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich teile die Worte des Bundeskanzlers: „Gewalt darf keinen Platz haben in der europäischen Politik.“ Und ich sage: Gewalt, aus welchem Spektrum auch immer, darf auch in der deutschen Politik keinen Platz haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vor der Tat steht das Wort. Ich erinnere stellvertretend für so viele Entgleisungen an die schrillen Sätze von Alexander Gauland:

„Wir werden sie jagen.“

(Stephan Brandner [AfD]: Ludger Volmer war das! – Weitere Zurufe von der AfD)

„Wir werden Frau Merkel oder wen auch immer jagen. Und wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen.“

Das ist Alexander Gauland, meine Damen und Herren. Für mich ist das verbale Gewalt, und die hat Folgen.

Die heutige Aktuelle Stunde ist nötig, weil auch in Deutschland längst der Beweis erbracht ist, wie aus düsteren Ankündigungen und Drohungen Taten werden: Straftaten,

(Dr. Malte Kaufmann [AfD]: Gegen uns vor allem!)

gegen Politikerinnen und Politiker, gegen demokratisch Engagierte, gegen Menschen im Ehrenamt, gegen Rettungskräfte, gegen Lokaljournalisten, die über Rechtsextreme berichten. Mir ist wichtig, zu sagen: Wir Abgeordneten der demokratischen Parteien in diesem Haus führen diese Debatte heute in Gedanken an

(Dr. Malte Kaufmann [AfD]: Das ist genau der Hass und die Hetze von Ihnen! Damit fängt es an! – Stephan Brandner [AfD]: Vor der Tat steht das Wort, Frau Paus! Sie führen gerade das Wort! – Weitere Zurufe von der AfD)

und stellvertretend für alle Menschen, die sich für unser Gemeinwohl engagieren, für das demokratische Miteinander, für unsere Freiheit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der AfD: Vor der Gewalt steht das Wort, Frau Paus!)

Wir sprechen heute für jene, die Gewalt ausgesetzt sind, weil sie Demokraten sind, einer Gewalt, die – ich zitiere – „nichts mehr mit dem zivilisierten Streit zwischen politischen Gegnern zu tun hat“; so kommentiert es die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ am 2. Mai 2024. Und die Gewalt reißt nicht ab: Auch Katrin Göring-Eckardt wird angegriffen, der Dresdner SPD-Politiker Ecke zusammengeschlagen,

(Gerold Otten [AfD]: Auch Tino Chrupalla ist angegriffen worden!)

Berlins Wirtschaftssenatorin Giffey attackiert, vor knapp zwei Wochen auch Kollege Kai Gehring und Essens dritter Bürgermeister Rolf Fliß.

(Dr. Malte Kaufmann [AfD]: Und warum nennen Sie nicht die AfD-Politiker, die angegriffen werden? – Gegenruf des Abg. Gerold Otten [AfD]: Selektive Wahrnehmung!)

Allein 2023 wurden 2 790 Angriffe auf politische Mandatsträger/-innen gemeldet, darunter Grüne 1 219, AfD 478, SPD 420, FDP 299, CDU/CSU 295 und Linke 79. Wir verurteilen diese Gewalt insgesamt und ausnahmslos.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Dr. Malte Kaufmann [AfD]: Und die AfD wird mit Absicht nicht genannt! Unverschämtheit!)

Es ist etwas verrutscht in diesem Land: Gewalt wird Teil der politischen Auseinandersetzung. Engagierte und ehrenamtlich arbeitende Menschen werden körperlich attackiert, geschlagen, getreten, angerempelt, bespuckt – vergangene Woche in Dresden sogar vor laufender Kamera, als Vermummte erst die Stadtratskandidatin angreifen und dann das Fernsehteam, das die Szene filmt.

(Stephan Brandner [AfD]: Kommen Sie doch morgen mit mir nach Rostock! Dann gucken wir uns das mal an!)

Die Soziologen Wilhelm Heitmeyer und Harald Welzer kommen zu dem Schluss: Ein aufgeheizter, nach rechts verschobener Diskurs ist eine Ursache für zunehmende Gewalt gegen Politiker. – Und auch der frühere Innenminister de Maizière sagte neulich rückblickend, die Gefahr des Rechtsextremismus sei lange unterschätzt worden.

Ich füge an: Wenn in der Politik aus Gegnern Feinde werden, wenn nicht mehr inhaltliche Kritik im Vordergrund steht, sondern das gezielte Verächtlichmachen der anderen,

(Enrico Komning [AfD]: Genau so ist es! – Weiterer Zuruf von der AfD: Das ist doch Ihre Regierungspolitik!)

dann ist der demokratische politische Diskurs bedroht, und dann fühlen sich einige im Recht, loszuziehen, um Gegner auszuschalten, mindestens mundtot zu machen.

(Zurufe von der AfD)

– Und auch wenn Sie noch so stark dazwischenbrüllen, ich lasse mich hier nicht mundtot machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Gerold Otten [AfD]: Das ist kein Brüllen! – Weitere Zurufe von der AfD)

Es ist fundamental wichtig, dass die Demokratinnen und Demokraten, die demokratischen Parteien bei allem Streit Respekt, Anstand und Fairness beherzigen

(Gerold Otten [AfD]: Das ist genau der Punkt!)

und gerade in diesen Situationen umso mehr vorleben. Flagge zeigen gegen rechts außen,

(Gerold Otten [AfD]: Auf einem Auge blind!)

die auch in diesem Hause einen Ton setzen, wie wir es gerade wieder erleben, der mit den parlamentarischen Gepflogenheiten, dem demokratischen Anstand und mit menschlichem Respekt nichts mehr zu tun haben will.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Stephan Brandner [AfD]: Sie stehen da als Ministerin! Das wissen Sie, oder? Nicht als Parteipolitikerin! – Jürgen Braun [AfD]: Unparteilichkeit des Amtes!)

Dieses Wahljahr steht natürlich im Zeichen des Wettbewerbs, des Streits der Parteien um die besseren politischen Konzepte. Aber streiten wir anständig miteinander! Tun wir es fair!

(Zuruf des Abg. Stephan Brandner [AfD])

Achten wir aufeinander,

(Zuruf von der AfD: Fragen Sie Ihre Antifa! – Gegenruf der Abg. Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da fühlen Sie sich immer angesprochen, ne?)

und schützen wir einander! Schützen wir auch die, die sich für andere engagieren! Um jeden Einzelnen von diesen Menschen muss es uns gehen; denn all diese Menschen, die sich einsetzen und engagieren für unsere Demokratie, sind das Fundament, sind der Schatz unserer Demokratie.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ich habe viele von ihnen besucht: in Sebnitz, Wiesbaden, Halle, Dresden. Das sind Menschen, die zum Beispiel Partnerschaften für Demokratie gegründet haben, die Demokratie zusammen leben und die Vorbilder sind.

Meine Damen und Herren, Angriffe auf Ehrenamtler, Einsatzkräfte, Politiker/-innen, das sind Angriffe auf uns alle, auf die Grundwerte der Republik. Dagegen braucht es Repression, aber vor allen Dingen braucht es Ächtung.

(Zuruf des Abg. Gerold Otten [AfD])

Gegen Gewalt braucht es Ächtung von Gewalt und gemeinsame Solidarität. Es braucht Prävention und deswegen auch das Demokratiefördergesetz, für das ich alle demokratischen Parteien heute erneut um Unterstützung bitte. Lassen Sie uns ideologische Differenzen überbrücken, im Dienste der Demokratie! Entsprechende Pläne gibt es auch in den Ländern Hessen und Berlin. Jetzt ist die Zeit. Lassen Sie uns gemeinsam dafür einsetzen!

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)