Rede von Corinna Rüffer Inklusiver Arbeitsmarkt
Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Hochgeschätzte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich beginne mit einem Zitat des geschätzten Kollegen Jens Beeck vom Mittwoch aus der Ausschusssitzung.
(Zurufe von der SPD und der FDP: Oh!)
Er hat nämlich gesagt: Ich bin mir sicher, dass wir nach einem Jahr zusammenkommen und feststellen werden, dass wir mit dem Gesetz für einen inklusiven Arbeitsmarkt etwas erreicht haben. Ich hoffe, dass er dann Applaus verdient. – Davon gehe auch ich aus; sonst würde ich hier nicht lächelnd stehen und diese Rede halten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Wir haben uns einiges vorgenommen. Es ist wichtig, dass wir beginnen, die Versprechen aus dem Koalitionsvertrag – endlich, darf ich sagen – umzusetzen. Viele Menschen warten darauf. Denn wir haben ein Problem in Deutschland:
(Dr. Götz Frömming [AfD]: Nur eins?)
Zunehmend viele Menschen fühlen sich von diesem Staat alleingelassen; behinderte Menschen und auch ihre Angehörigen gehören dazu. Sie sind es leid, für jeden Anspruch mit einer Machete durch den Bürokratiedschungel zu müssen. Sie haben ein Recht auf eine volle und gleichberechtigte Teilhabe.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)
Um das mal klarzustellen: Es geht nicht um Fürsorge. Es geht um Rechte, und es geht auch darum, dass wir auf niemanden in dieser Gesellschaft verzichten können. Aber genau das passiert nicht, wenn ein Viertel der Unternehmen darauf verzichtet, behinderte Menschen zu beschäftigen. Diese Unternehmen beschäftigen exakt null Personen mit Schwerbehinderung, obwohl sie rechtlich dazu verpflichtet sind. Das wollen wir unterbinden mit der Einführung einer vierten Staffel der Ausgleichsabgabe. Damit wollen wir dazu beitragen, dass diese Unternehmen motiviert werden, schwerbehinderte Kolleginnen und Kollegen einzustellen.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollegin Rüffer, ich habe die Uhr angehalten. Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Hüppe von der CDU/CSU-Fraktion?
Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Aber selbstverständlich. Von Herrn Hüppe immer. Sicher.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Ich dachte es mir.
Hubert Hüppe (CDU/CSU):
Vielen Dank, Frau Kollegin Rüffer, dass Sie die Frage zulassen. – Ich weiß ja auch: Wenn es nach Ihnen ginge, wäre es vielleicht wirklich ein inklusiver Gesetzentwurf.
Ich wollte Sie Folgendes fragen: Sie als Grüne haben ja Herrn Professor Düwell als Sachverständigen eingeladen. Er hat heute ein Pressestatement herausgegeben, in dem er sagt: Das Gesetz fördert nicht die Inklusion, sondern die Inklusionsverweigerer. Inklusionsverweigerer ist, wer beschäftigungspflichtig ist, aber, obwohl er objektiv Schwerbehinderte beschäftigen kann, es doch nicht tut, weil er es nicht will. Durch den Wegfall des Bußgeldes werden die schwarzen Schafe belohnt. Das ist ein Skandal. – Teilen Sie diese Auffassung, oder hat Ihr Sachverständiger völlig unrecht?
Ich will es noch mal konkret machen: Die vierte Stufe der Ausgleichsabgabe bedeutet ja nicht – im Gegensatz zu dem, was die Staatssekretärin gerade sagte –, dass alle Betriebe, die keinen Menschen mit Behinderung beschäftigen, obwohl sie beschäftigungspflichtig sind, nun solche Menschen beschäftigen müssen. Vielmehr betrifft das gerade einmal – wenn überhaupt – 10 Prozent der Betriebe,
(Hubertus Heil, Bundesminister: 20!)
nämlich nur die Betriebe, die über 60 Arbeitnehmer haben. Das heißt, vielleicht werden 4 000 Betriebe, wenn es hochkommt, belastet,
(Zuruf des Abg. Sebastian Roloff [SPD])
während Sie alle Betriebe, die ihrer Aufgabe nicht nachkommen, entlasten und sozusagen von ihrer Pflicht, Menschen mit Behinderung zu beschäftigen, freisprechen.
(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sprechen die nicht frei! – Stephanie Aeffner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie schaffen die Ausgleichsabgabe ganz ab, oder was? – Dr. Martin Rosemann [SPD]: Deswegen will die Union die vierte Stufe nicht haben!)
– Ich rede von dem Bußgeld. Das haben Sie verstanden, Kollege, oder?
(Dr. Martin Rosemann [SPD]: Sechs Fälle!)
Vizepräsidentin Petra Pau:
So, jetzt hat die Rednerin wieder das Wort.
Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich höre auch gern zu und bringe mich dann an passender Stelle ein.
(Heiterkeit – Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Soll ich ein Tässchen Kaffee reichen?)
Hubert Hüppe (CDU/CSU):
Gut. – Dann würde ich, weil es gerade zugerufen wurde, noch hinzufügen: Es gibt tatsächlich nur sehr wenige Fälle. Das liegt daran, dass laut Gesetz die Arbeitsagentur dafür zuständig ist. Aber alle Sachverständigen haben gesagt: Es wäre viel besser, wenn es der Zoll machte, –
Vizepräsidentin Petra Pau:
Gut.
Hubert Hüppe (CDU/CSU):
– weil sich die Arbeitsagentur in einem Interessenskonflikt befindet; denn sie will bei den betreffenden Unternehmen auch andere Arbeitnehmer unterbringen. Halten Sie das auch für richtig?
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollege Hüppe, ich denke, –
Hubert Hüppe (CDU/CSU):
Gut. Ich bin nur durch einen Zurufer unterbrochen worden. Ich höre auf.
Vizepräsidentin Petra Pau:
– es ist jetzt allen klar, dass sie sich diese spannende Anhörung gegebenenfalls in der Aufzeichnung noch mal ansehen und sich mit den Argumenten beschäftigen können. – Jetzt hat aber wieder die Kollegin Rüffer das Wort. Die Uhr ist so lange angehalten, bis sie geantwortet hat.
(Takis Mehmet Ali [SPD]: Lass dir Zeit!)
Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ja, ich lasse mir jetzt auch Zeit; denn der Kollege Hüppe hat meine ganze Rede durcheinandergebracht.
(Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Das wollte ich nicht!)
Jetzt werde ich erst mal antworten.
Du glaubst doch nicht, dass meine Fraktion einen Sachverständigen einlädt, wenn sie nicht ungefähr weiß, worauf sie sich damit einlässt.
(Dr. Ottilie Klein [CDU/CSU]: Oh! So machen Sie das also? – Stephan Stracke [CDU/CSU]: Was sind denn das dann für Sachverständige? – Jens Beeck [FDP]: Was? – Dr. Götz Frömming [AfD]: Ach, so geht das?)
Deshalb kann es nicht überraschen, dass der ehemalige Vorsitzende Richter am Bundesarbeitsgericht zu dieser Frage der Bußgeldvorschrift eine Meinung hat. Und diese Meinung teilen wir auch – ich möchte damit nicht hinterm Berg halten –: Es wäre richtig, diese Bußgeldvorschrift im Gesetz zu bewahren.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Es ist richtig, dass diese Bußgeldvorschrift bisher ein stumpfes Schwert gewesen und kaum zur Anwendung gekommen ist. Selbst wenn Unternehmerinnen und Unternehmer, wenn Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber behinderte Menschen nicht eingestellt haben und diese Bußgeldvorschrift zum Zuge gekommen ist, ist die Bundesagentur für Arbeit nur in den seltensten Fällen – in den allerseltensten Fällen! – aktiv geworden; denn sie hat kein besonderes Interesse daran, das zu verfolgen. Die Bundesagentur für Arbeit braucht, um ihre Arbeit gut zu machen – das kann man in gewisser Weise nachvollziehen –, ein gutes Verhältnis zu den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern und will nicht in rechtliche Konflikte geraten. Die SPD hatte dem Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages den Auftrag gegeben, das zu überprüfen. Das Ergebnis lautet: Wenn man aus diesem stumpfen ein scharfes Schwert machen möchte, dann täte man gut daran, der Bundesagentur für Arbeit diese Aufgabe zu entziehen und sie an den Zoll zu übermitteln. – Und das sehen auch wir so.
Wo es jetzt aber bigott wird: Die Union und auch die unionsgeführten Bundesländer sind drauf und dran, zu erwirken, dass dieses Gesetz in den Vermittlungsausschuss getragen wird, aber nicht – dann wäre es konsistent, was hier gesagt wird –, um die Bußgeldvorschrift in das Gesetz zurückzuverhandeln – das würde mich ja freuen –, um dieses Gesetz in Richtung mehr Inklusion zu schärfen, sondern – im Gegenteil – um die vierte Staffel der Ausgleichabgabe zu streichen, die von euch auch noch als „Sanktion“ diffamiert wird.
Das zeigt, dass ihr überhaupt nicht verstanden habt, wozu die Ausgleichsabgabe dient. Sie fließt ja wieder zurück an diejenigen Unternehmerinnen und Unternehmer, die sich rechtskonform verhalten, die gemäß ihrer Beschäftigungspflicht behinderte, schwerbehinderte Menschen beschäftigen und deren Arbeitsplätze entsprechend ausstatten.
(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das fließt zurück in die Wirtschaft!)
Deswegen ist das absolut bigott.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Wenn die Bußgeldvorschrift geschärft werden würde und die vierte Staffel entsprechend den anderen Staffeln der Ausgleichsabgabe geschärft werden würde, dann hätten wir meines Erachtens einen anderen Sprech. Aber ich bin froh, dass diese Frage hier geklärt ist. Und ich erwarte von allen, die gerade geklatscht haben, als der verehrte Hubert Hüppe seine Frage stellte – die merke ich mir –,
(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
dass sie in ihren Ländern dafür sorgen, dass man sich dafür einsetzt, dass ein Vermittlungsausschuss auf die Beine gestellt wird, der dieses Gesetz am Ende noch inklusiver macht – oder halten Sie in Zukunft an dieser Stelle einfach den Mund.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Sören Pellmann [DIE LINKE])
Zur Ausgleichsabgabe und ihrer Funktion will ich dazusagen: Vor sieben oder acht Jahren hat Ihr Finanzminister Schäuble gefordert, dass die Ausgleichsabgabe mindestens verdoppelt wird – da war von einer vierten Staffel noch gar nicht die Rede –, um tatsächlich eine Wirkung zu erzielen und die Arbeitnehmer/-innen dazu zu motivieren, schwerbehinderte Menschen einzustellen. Auch in Ihren Reihen sitzen wirklich kluge Köpfe, die das besser beurteilen können, als sich das hier heute darstellt. Ich sage Ihnen an dieser Stelle wirklich im Guten, dass Sie sich damit keinen Gefallen tun, wenn Sie allen Ernstes im Bundesrat die Beschäftigung behinderter Menschen verhindern; das wäre die Konsequenz. Sie tun sich damit keinen Gefallen, auch nicht von der Arbeitgeberseite her. Ich kann das nicht nachvollziehen.
Sie haben vielleicht immer noch nicht verstanden, welche Stunde geschlagen hat. Es ist doch kein Scherz, wenn wir hingehen und sagen, dass wir in diesem Land auf niemanden verzichten können. Das ist doch ernst gemeint und auch objektive Sachlage. Wir stehen am Beginn einer schwierigen demografischen Entwicklung. Diese Herausforderung werden wir allein mit Blick auf die Pflege, aber auch mit Blick auf das Handwerk sowieso nur mit Mühe bewältigen. Aber wenn wir weiter damit machen, dass wir Leute aus dem Arbeitsmarkt rausdrängen, dass wir Leute gar nicht reinkommen lassen, dann werden wir im Regen stehen, und zwar als Bevölkerung, alle zusammen, und ich glaube, das kann sich kein Mensch wünschen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)
Sie waren ja bei der Anhörung zu diesem Gesetz, jedenfalls manche. Sie wissen, dass die vierte Staffel dort von niemandem ernsthaft infrage gestellt, sondern dringend eingefordert wurde. Auch darüber hinaus war diese Anhörung wirklich spannend. Sie war deshalb spannend, weil wir in dieser Anhörung Sachverständige hatten, die weit über dieses Gesetz hinausblicken, die wirklich mal eine große Perspektive in den Raum geworfen haben,
(Stephan Stracke [CDU/CSU]: Anders als diese Koalition offenbar!)
die gesagt haben, dass Unternehmerinnen und Unternehmer in den Startlöchern stehen und inklusiv beschäftigen möchten. Es gibt überhaupt kein Problem in den Köpfen der Unternehmerinnen und Unternehmer in diesem Land. Es gibt ein Problem in den Köpfen der Politik, und das vielfältig. Das ist das Problem.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wenn Sie sich in Kontakt setzen mit dem großen Unternehmerinnennetzwerk in Nordrhein-Westfalen, Herr Gröhe, wo wirklich große Unternehmen dabei sind, stellen Sie fest: Die schimpfen darüber, dass wir den Weg nicht freimachen. Deren Problem ist wahrlich nicht die vierte Staffel bei der Ausgleichsabgabe. Auch die Kammern, auch die Wirtschaft sind am Start.
Wir haben konstruktiven Druck bekommen. Herr Düwell hat sich nicht nur zum Bußgeld gemeldet, sondern er hat auch gesagt: Ihr müsst doch die Präventionsmaßnahmen schärfen. Wir brauchen das betriebliche Eingliederungsmanagement. Wir brauchen die stufenweise Wiedereingliederung. – Wir haben uns das hinter die Ohren geschrieben. Und wir sind nicht am Ende der Geschichte. Wir sind am Anfang, und es werden weitere Gesetze folgen. Das wissen wir doch. Herr Heil, Kerstin Griese, wir alle haben uns das auch schon zu Herzen genommen.
Last, but not least – das ist mir an dieser Stelle wirklich sehr wichtig –: Wir vergeuden reihenweise junge Potenziale, und zwar so, dass es kracht. Jährlich gehen circa 47 000 Kids ohne Schulabschluss von den Schulen, und von diesen circa 47 000 haben vorher – und jetzt bitte zuhören! – 50 Prozent Förderschulen besucht. Das können wir doch nicht akzeptieren, dass wir Kinder, die gezwungen sind, Förderschulen zu besuchen, von der Teilhabe am Arbeitsleben weiterhin ausschließen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)
Auch dazu haben wir so gute Beiträge gehört, zum Beispiel von Eva-Maria Thoms aus Nordrhein-Westfalen von mittendrin e.V., die Projekte fährt, die zeigt, dass auch Jugendliche mit Lernschwierigkeiten viel Potenzial haben, Mehrwert für diese Gesellschaft bringen können.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Frau Kollegin.
Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
All diese Fragen wollen wir voranbringen. Ich würde mich freuen, wenn Sie sich uns endlich konsequent anschließen und den Mist im Bundesrat sein lassen.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie des Abg. Sören Pellmann [DIE LINKE])