Im Gespräch

Aus Fehlern lernen

Die Abgeordneten Lukas Benner & Leon Eckert stehen vor dem Bundestag
Genau ein Jahr ist es her, seit in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 ein Jahrhunderthochwasser mehrere Regionen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen verwüstete. 186 Menschen haben dabei ihr Leben verloren. Ein Gespräch mit Lukas Benner und Leon Eckert zum Bevölkerungsschutz ein Jahr nach der Flutkatastrophe. Grüne Bundestagsfraktion / Stefan Kaminski
12.07.2022

Genau ein Jahr ist es her, seit in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 ein Jahrhunderthochwasser mehrere Regionen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen verwüstete. 186 Menschen haben dabei ihr Leben verloren. Auch Belgien und die Niederlande waren von dem Hochwasser betroffen, der materielle Schaden beträgt allein in Deutschland 33 Milliarden Euro. Das Leid der Menschen, die Angehörige und ihr Hab und Gut verloren haben, geht ins Unermessliche. Als das Ausmaß der Katastrophe sichtbar wurde, waren Hilfeleistungen und praktische Solidarität riesengroß. Die Notfallmaßnahmen des Zivil- und Katastrophenschutzes standen jedoch als zum Teil unzulänglich in der Kritik. Angesichts der Häufung krisenhafter Ereignisse im Zuge des Klimawandels ist das Bewusstsein dafür gewachsen, dass wir als Gesellschaft resilienter gegen Katastrophen werden müssen – aber wie sieht es mit den nötigen Maßnahmen aus?

Wir haben darüber mit unseren zuständigen Abgeordneten gesprochen. Leon Eckert aus dem Wahlkreis Freising in Bayern, Mitglied im Ausschuss für Inneres und Heimat, ist Berichterstatter für Bevölkerungsschutz. Lukas Benner, Jurist aus der Städteregion Aachen in NRW, einer damals stark vom Hochwasser betroffenen Region, ist Mitglied im Rechtsausschuss.

profil:GRÜN: Wie schätzt ihr die Vorwürfe im Umgang mit der Hochwasserkatastrophe ein?

Leon: Eine solche Katastrophe haben wir in der Bundesrepublik bisher selten erlebt. Daher ist es absolut wichtig, die Probleme bei Vorsorge und Abwehr zu identifizieren, um Lösungen zu finden, wie wir die Menschen besser schützen können. Ich denke, einige Mängel sind offensichtlich geworden: Es gab Defizite bei den Warndiensten und eine mangelhafte Koordination der Einsatzkräfte. Es fehlte an vollständigen Lagebildern und an Übersicht, wo Schäden und wo Einsatzkräfte sind. Keine Stelle hatte in den entscheidenden Momenten damals den vollen Überblick. Das darf so nicht wieder passieren.

Lukas: In meinem Wahlkreis sind die Auswirkungen bis heute zu sehen. Glücklicherweise gab es hier keine Todesopfer, doch der materielle Schaden ist gewaltig. Trotz der großen Solidarität sind manche Innenstädte zum Teil verwaist. Es ist offenkundig, dass nicht nur die Vorsorge, sondern auch die Nachsorge besser werden muss.

profil:GRÜN: Sind wir denn inzwischen besser gerüstet?

Leon: Wir sind da schon auf einem guten Weg. Noch in der letzten Legislaturperiode wurde endlich die Einführung des Cell Broadcasting auf den Weg gebracht, auch auf Drängen der Grünen. Damit wird es bald möglich sein, Menschen in einem bestimmten Gebiet direkt über ihre Handys per SMS zu warnen. Der erste Test wird bereits im Dezember stattfinden. Und im Mai haben die Innenminister das Gemeinsame Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz endgültig beschlossen. Es soll eine bessere Koordination von Bund und Ländern gewährleisten – auch eine zentrale Forderung von uns. Von der Bundesebene bis zur Freiwilligen Feuerwehr vor Ort müssen wir das System des Bevölkerungs- und Selbstschutzes stärken.

Lukas: Der Umgang mit den jüngsten Tornados und Unwettern in NRW hat schon gezeigt, dass ein Bewusstseinswandel einsetzt. Es wird zunehmend erkannt, dass mehr Maßnahmen notwendig sind, um uns für die Klimakrise zu rüsten, doch es liegt noch ein langer Weg vor uns. So müssen wir dringend den Hochwasserschutz verbessern und unser Baurecht für die Zukunft wappnen, auch um unbezahlbar werdende Schäden zu vermeiden.

profil:GRÜN: Die Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) hat im Juni über eine Pflichtversicherung für Elementarschäden beraten. Welche Vorteile seht ihr?

Lukas: Extremwetter werden immer häufiger und verbreiteter auftreten. Staatliche Nothilfen sind dafür nicht das richtige Instrument, das bestätigen auch unterschiedlichste Fachleute. Die Bürger*innen müssen wissen, ob und in welchem Umfang ihr Haus im Schadensfall abgesichert ist. Die Beschlüsse der Justizministerkonferenz und der MPK haben hierfür den Weg geebnet, nun sind wir im Bund am Zug: Sollte die Entscheidung zugunsten einer Pflichtversicherung fallen, werden wir uns insbesondere dafür einsetzen, dass die damit verbundenen Kosten sozial verträglich bleiben.

Leon: Hier kann ich Lukas nur zustimmen. Es ist ein großes Thema, das rechtliche, soziale und politische Auswirkungen hat. Aus meiner Sicht kann eine Versicherung viele wirtschaftliche Existenzen nach einer Katastrophe retten. Sie kann uns aber nicht von der Verantwortung entbinden, aktiven Klimaschutz und entsprechende Klimaanpassungsmaßnahmen voranzutreiben.

profil:GRÜN: Wie bewertet ihr die Diskussion um unseren Föderalismus in diesem Zusammenhang? Behindert er die Reaktionsfähigkeit?

Leon: Wir haben in der Bundesrepublik ein starkes System der Gefahrenabwehr von unten. Gerade auch aus eigener Erfahrung als Aktiver in der Freiwilligen Feuerwehr kenne ich die Stärken der kommunalen Verankerung und des Föderalismus. Bei Großeinsätzen müssen wir jedoch besser zusammenarbeiten und Hürden, wie etwa unterschiedliche Funkrufnamen der Fahrzeuge in den Ländern, abbauen. Eine sehr gute Lösung könnte auch eine verpflichtende Kooperation zwischen den Ländern und dem Bund darstellen, sozusagen als Back-up, wenn es nötig ist. Lokale Einheiten der Feuerwehren oder des Technischen Hilfswerks (THW) kennen sich vor Ort am besten aus, daher macht die Zuständigkeit hier Sinn. Aber wir brauchen Strukturen, also Notfallpläne und Warnketten, in denen jeder weiß, wann was zu tun ist. Dann ist im Notfall der Abstimmungsbedarf nicht mehr so groß.

Lukas: Da bin ich ganz bei Leon. Die Fähigkeiten vor Ort sind wichtig. Gleichzeitig aber profitieren alle von einer engeren Kooperation zwischen den Regionen und Bundesländern. Das gilt im Übrigen auch für die Zusammenarbeit unter europäischen Nachbarn – von der Flutkatastrophe letztes Jahr wurde zum Beispiel auch Belgien, das an meinen Wahlkreis angrenzt, heimgesucht.

profil:GRÜN: Wie könnt ihr Betroffenen und Kommunen ein Jahr danach Mut machen?

Lukas: Indem wir aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. Dass wir auf eine Katastrophe so unzureichend vorbereitet sind, darf sich nicht wiederholen. Dafür setze ich mich persönlich ein, auf allen Ebenen die Sensibilität für konsequente Vorsorge zu stärken. Zugleich hat der nachhaltige Wiederaufbau höchste Priorität.

Leon: Wir versuchen in der Fraktion jeden Tag, das Leben der Menschen sicherer zu machen. Nicht alles, was wir tun, dringt an die Öffentlichkeit. Wir vergessen die Betroffenen und Opfer nicht. Sie erinnern uns daran, wie wichtig unsere Arbeit ist.

profil:GRÜN: Wir danken euch für das Gespräch.


Das Gespräch ist auch in der profil:GRÜN Ausgabe Juli 2022 zu finden.