Rede von Kai Gehring Zu Protokoll: Europäischer Forschungsraum
Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Marie Curie war eine exzellente Wissenschaftlerin, die für ihre bahnbrechenden Entdeckungen auf dem Gebiet der Radioaktivität bekannt ist und zwei Nobelpreise erhielt. Sie wurde in Polen geboren, studierte und arbeitete in Frankreich, sie reiste viel und war in stetigem Austausch mit Forschenden aus anderen Ländern. Ihr wissenschaftliches Lebenswerk zeigt, dass die Stärke, Kreativität und Exzellenz der europäischen Forschung in Austausch und Kooperation liegen.
Unser Ziel ist, den Europäischen Forschungsraum, EFR, weiterzuentwickeln, weil nur er uns wissenschaftliche Exzellenz, Erkenntnisfortschritte und strategische Souveränität sichert – ein EFR der Wissenschaftsfreiheit, in dem Forschende sich frei bewegen und wissenschaftliche Erkenntnisse und Technologien frei und sicher zirkulieren können. Unser Ziel ist ein echter Binnenmarkt für Forschung.
Gemeinsam mit unserer neuen nationalen Zukunftsstrategie Forschung und Innovation und dem europäischen Pakt für Forschung und Innovation bildet der Nationale Aktionsplan für einen Europäischen Forschungsraum die Blaupause, wie wir diese Ziele erreichen können. Damit stärken wir auch das Fundament für das nächste Europäische Forschungsrahmenprogramm, das die Erfolgsstory für unseren Innovationskontinent fortschreibt.
Europa ist mit einem Anteil von 25 Prozent an der weltweiten Wissensproduktion bei einem Bevölkerungsanteil von 6 Prozent sehr gut und nachhaltig aufgestellt. Aber der globale Innovationswettbewerb verschärft sich. Wir müssen unsere Kräfte bündeln und das Potenzial an Ideen und Freizügigkeit ausschöpfen. Nur zusammen und mit gebündelten Kräften bleiben wir ein global leistungsfähiger Innovationsmotor und attraktiv für internationale Talente.
Forschung made in Europe ist eine historische Aufgabe für eine bessere Zukunft; denn die großen globalen Herausforderungen, wie die Klimakrise, das Artensterben und die Ressourcenknappheit, der demografische Wandel, die Stärkung von Resilienz, Sicherheit und Freiheit in europäischen Demokratien, lassen sich nicht durch Kleinstaaterei, Abschottung und Nationalismus, sondern nur im kooperativen Schulterschluss mit internationalen Partnern und vor allem gemeinsam mit unseren europäischen Freundinnen und Freunden bewältigen.
Europäische Forschungspolitik muss sowohl die freie Grundlagenforschung als auch die missions- und anwendungsorientierte Forschung fördern. Neugiergetrieben bis problemfokussiert adressiert Forschung Herausforderungen unserer Zeit und der Zukunft und ist damit Treiber für die notwendigen Transformationen.
Durch führende, grenzübergreifende Infrastrukturen eröffnen wir unseren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern exzellente Forschungsmöglichkeiten. Das sichert unsere technologische Souveränität in Europa und ermöglicht Fortschritte bei transformativem Wissen, zum Beispiel bei Dekarbonisierung und Digitalisierung. Es ist ein großer Erfolg, dass wir die Klimaforschung im aktuellen Zyklus von Horizon Europe mit einer Quote von 35 Prozent verankern konnten. Die globalen Nachhaltigkeitsziele, SDGs, lassen sich nur mit transformativem Wissen aus erstklassiger Forschung erreichen.
Geistes- und Sozialwissenschaften sind für Europas lebendige und resiliente Demokratie unerlässlich. Ihnen muss daher weiter ein fester Platz in der europäischen Förderkulisse gehören. Ganz im Sinne ihrer Namensgeberin wurde die Marie-Skłodowska-Curie-Mobilitätsförderung eingerichtet, um die länder- und sektorübergreifende Mobilität von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu unterstützen – ein wichtiges Vorhaben mit Strahlkraft, das unbedingt verstetigt werden muss! Horizon Europe ist schon heute mit vielen Partnerländern außerhalb der EU verbunden. Wir wollen die Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Ländern weiter vorantreiben – selbstbewusst interessensgeleitet und selbstbewusst wertegeleitet. Als Kontinent der Wissenschaftsfreiheit kommt Europa dabei eine besondere Verantwortung zu.
Der Academic Freedom Index zeigt: Deutschland steht in Sachen Wissenschaftsfreiheit gut da. Bei einzelnen unserer europäischen Nachbarn und im weltweiten Trend nimmt die Freiheit von Wissenschaft und Forschung allerdings ab. Autoritäre Regime und Bewegungen versuchen, diese Freiheit einzuschränken und in ihrem Sinne zu instrumentalisieren. Als Europäerinnen und Europäer akzeptieren wir keine Shrinking Spaces für die Wissenschaft. Deshalb wollen wir die Wissenschaftsfreiheit in internationalen Kooperationen schützen und Schutzprogramme für verfolgte Wissenschaftler/-innen und Studierende ausbauen.
Mit dem European Fellowship Scheme for Researchers at Risk ist die Kommission in diesem Jahr einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung gegangen. In Deutschland wollen wir eine University in Excile aufgleisen. Angesichts wachsender Bedrohungen gilt es auch, europäische Wissenschaftseinrichtungen besser vor feindseligen Angriffen und Spionage zu schützen. Zur maximalen Freiheit gehört notwendige Sicherheit.
Zu guter Letzt: Ohne ausreichende Finanzierung und Agilität in den Förderungen geht es nicht. Die Förderung des Europäischen Forschungsraumes und von Horizon Europe ist für die Mitgliedstaaten aktive, fundamentale Zukunftsvorsorge. Horizon Europe muss im nächsten EU-Finanzrahmen deutlich aufgestockt werden! Und das European Research Council muss weiter seinen unschätzbaren Beitrag für sichtbare Excellence made in Europe leisten. So füllen wir die Blaupause für einen echten europäischen Binnenmarkt für Forschung mit Leben. Europa kann noch mehr und muss Innovationsspitzenreiter bleiben. Ich freue mich drauf!