Rede von Manuel Sarrazin Aktuelle Stunde „Bergkarabach“

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29.10.2020

Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Leidtragende der aktuellen Situation, dieses Krieges ist – das ist eigentlich eine Floskel; aber ich möchte es trotzdem sagen – die Zivilbevölkerung, die Zivilbevölkerung in Bergkarabach, aber eben auch die Zivilbevölkerung in dem von Baku kontrollierten Gebiet in Aserbaidschan.

Wir müssen uns hier ganz offen vor Augen halten, dass auch wir als internationale Gemeinschaft eine Mitverantwortung für diese Situation tragen, wie verschiedene Kollegen es hier schon gesagt haben. Jahrzehntelang haben wir eine Nichtlösung akzeptiert, und die Uhr tickte hinunter, bis die aserische Seite zu einer militärischen Maßnahme greifen würde. Trotzdem haben wir nicht genügend Druck ausgeübt, im Rahmen der diskutierten Möglichkeiten tatsächlich zu einer Veränderung der Lage zu kommen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aus dieser Situation müssen wir lernen. Deswegen – ich bedanke mich für die Aktuelle Stunde – gehört dieser Krieg auf die Landkarte der europäischen Außenpolitik.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Ich bedanke mich auch – das möchte ich ganz ausdrücklich sagen – beim Kollegen Wadephul dafür, wie klar das, was zunächst gesagt werden muss, von Ihnen formuliert wurde. Der Vormarsch von Baku muss sofort gestoppt werden, sonst droht eine humanitäre Katastrophe.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es besteht die Gefahr, dass in Bergkarabach über den Winter eine richtig, richtig schlimme und gefährliche Situation entsteht. Wir können über alle verschiedenen Fragen der letzten 26 Jahre reden und müssen es sogar. Da gibt es auch sehr viel Kritisches an der Haltung der armenischen Regierung, der alten wie der neuen. Aber das gibt nicht Baku die Legitimation für diese Art und Weise des Vorgehens. Um an den Tisch zurückzukehren, muss dieser Vormarsch gestoppt werden. Dann erwarten wir eben auch von der armenischen Seite, den Waffenstillstand genauso einzuhalten. Vielen Dank für diese klaren Worte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Das Szenario ist beklemmend und klar. Das Signal in unserer Östlichen Partnerschaft ist: Der Krieg ist ein Mittel zur Fortsetzung von Politik. – Dieses Signal haben verschiedene Akteure in unserer Nachbarschaft in den letzten Jahren immer häufiger benutzt. Für mich persönlich ist das eine der Zeitenwenden, die mit dem Krieg Russlands in der Ukraine 2014 begonnen hat; andere nehmen andere Daten. Wir sollten aber nicht, indem wir uns zurückhalten, den Akteuren, die genau dieses neue Prinzip verfolgen, die Lösung dieses Konflikts überlassen, Herr Hampel. Wir müssen dieses Prinzip durchbrechen. Wenn sich jemand an den Verhandlungstisch bombt, wird das nicht zu Prinzipien führen, die auf weniger Gewalt setzen.

Deswegen halte ich es für wichtig, dass wir überlegen, inwieweit mehr Einsatz auch aus Deutschland und aus der Europäischen Union angemessen ist. Wir sehen doch gerade, dass die alte Schutzmacht Moskau, wenn es darum geht, diesen Krieg einzudämmen, nur begrenzte Kapazitäten hat. Und wir sehen, dass die angeblich neue Schutzmacht Ankara offenkundig einen begrenzten Willen hat, diesen Krieg einzudämmen.

Wenn wir sehen, dass ein solches Vakuum entsteht, müssen wir uns doch fragen, ob wir nicht zu einer diplomatischen Initiative angehalten sind, mehr zu versuchen, als nur bei Herrn Paschinjan und Herrn Alijew anzurufen, und auch eigenes Kapital als Europäische Union und Deutschland in den Ring zu werfen und zu sagen: Ihr setzt euch an einen Tisch. Wir zählen auf euch. Wir wollen das von euch, und wenn ihr beide es euch nicht mit uns verderben wollt, dann erwarten wir von euch eine Veränderung der Situation.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU)

Ich denke, einen solchen Versuch ist es wert. Ich weiß, dass beide Partner vielleicht nicht wegen uns ihre jahrzehntelangen Feindseligkeiten sofort vergessen werden. Aber ich weiß, dass sowohl Herr Alijew als auch Herr Paschinjan auf Deutschland so viel Wert legen, dass sie ans Telefon gehen werden. So viel Einfluss hat unser Land schon noch.

(Armin-Paulus Hampel [AfD]: Das war es dann aber auch!)

Meine Damen und Herren, es ist inakzeptabel, dass de facto Russland und die Türkei über das Schicksal in dieser Konfliktregion entscheiden sollen. Der Kreml hat die Region über Jahrzehnte mit Waffenlieferungen an beide Parteien gezielt destabilisiert. Herr Erdogan scheint von diesem Prinzip der Machtausübung auch profitieren zu wollen. An einer nachhaltigen Konfliktlösung und an einem Erstarken von Demokratie und Verständigung im Südkaukasus hat Herr Putin kein Interesse und Herr Erdogan auch nicht. Deshalb bin ich sehr dafür, dass sich die Bundesregierung und die Europäische Union hier stärker einbringen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich:

Für die SPD-Fraktion hat das Wort die Kollegin Dr. Barbara Hendricks.

(Beifall bei der SPD)