Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem Rückführungsverbesserungsgesetz setzt das Innenministerium die Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenzen um und geht darüber hinaus. Wir haben es schon damals gesagt: Gesetzgeber ist und bleibt das Parlament; denn die Entscheidung treffen am Ende wir, und wir müssen diese auch verantworten.
Der Regelungsbereich des Gesetzes ist ausgesprochen breit. Der Ausreisegewahrsam soll deutlich verlängert und die Abschiebehaft ausgeweitet werden. Durchsuchungen in Gemeinschaftsunterkünften sollen erleichtert werden, sodass künftig auch völlig unbeteiligte Personen, auch Familien, damit rechnen müssen, dass Polizistinnen und Polizisten ihre Wohnung betreten.
(Beatrix von Storch [AfD]: Ist ja fürchterlich!)
Bestimmte Personen sollen ohne Verurteilung allein auf Verdacht ausgewiesen werden können. Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma befürchtet, dass es dadurch bald wieder zu Sippenhaft völlig unbescholtener Menschen kommen könnte.
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Sippenhaft! Unglaublich!)
Das müssen wir ernst nehmen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Clara Bünger [DIE LINKE])
Gegen diese Maßnahmen haben die beiden großen Kirchen, die Wohlfahrtsverbände, Amnesty International, Pro Asyl, Terre des Hommes, der Deutsche Juristinnenbund, der Deutsche Anwaltverein und die Gesellschaft für Freiheitsrechte und zahlreiche andere verfassungs- und europarechtliche Vorbehalte vorgebracht; denn der Entwurf sieht Eingriffe in elementare Grundrechte vor: in das Recht auf Freiheit, auf Unverletzlichkeit der Wohnung und auf die Privatsphäre.
(Beatrix von Storch [AfD]: Was ist denn mit dem Recht auf Leben der hier Lebenden?)
Diese Eingriffe treffen nicht nur, wie immer wieder gesagt wird, Straftäter/-innen, die schwere Straftaten begehen, sondern auch Schutzsuchende und Geduldete insgesamt, darunter zum größten Teil Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Wir werden deshalb in den Beratungen, Frau Ministerin, genau prüfen, ob diese Grundrechtseingriffe gerechtfertigt sind.
Auch bei der Debatte um die Kriminalisierung von Seenotretter/-innen in den letzten Tagen gehen zahlreiche Juristinnen und Juristen davon aus, dass ehrenamtliche Seenotretter/-innen Ermittlungen fürchten müssen. Wir begrüßen deshalb, Frau Ministerin, dass hier das Innenministerium klargestellt hat, dass diese Intention nicht beabsichtigt ist.
(Zuruf des Abg. Josef Oster [CDU/CSU])
Dies wird entsprechend in den Beratungen berücksichtigt, meine Damen und Herren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Denn für die Koalition gilt – so steht es auch im Koalitionsvertrag –: Menschen, die lebensrettende Hilfe leisten, dürfen nicht Gefahr laufen, dafür belangt zu werden. Darin sind wir uns einig.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Grundsätzlich möchte ich für meine Fraktion betonen, dass im Hinblick auf die Debatte um ausreisepflichtige Personen, Herr Hoppenstedt – und auch in Ihrer Fraktion gab es sehr viel Offenheit für das Chancen-Aufenthaltsrecht; das haben Sie hier im Parlament selbst dokumentiert –, der Fokus mehr auf Bleiberechtsregelungen liegen sollte und vor allem auf der freiwilligen Ausreise.
(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!)
Die Zahl der freiwilligen Ausreisen ist derzeit doppelt so hoch wie die der zwangsweisen Abschiebungen.
(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Das ist ja auch das Normalste von der Welt, Frau Polat!)
Sie sind mit weniger Härten für die Betroffenen verbunden und bedeuten eine große Entlastung der beteiligten Behörden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP und der Abg. Clara Bünger [DIE LINKE])
Ich möchte in Erinnerung rufen, dass die rechtlichen Verschärfungen unter Seehofer nicht zu mehr Abschiebungen,
(Zuruf von der CDU/CSU: Doch!)
aber zu einer härteren Abschiebepraxis geführt haben, zu mehr Gerichtsverfahren
(Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)
und einer starken Belastung der Justiz. Auch das müssen wir beachten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Wir hatten doppelt so viele Rückführungen wie jetzt! Doppelt so viele!)
Meine Damen und Herren, noch einmal in Richtung der Union, weil dieses Narrativ für mich schwer erträglich ist:
(Christoph de Vries [CDU/CSU]: Das ist jetzt aber Ihr eigenes Gesetz, über das Sie reden!)
Wer sagt, wir hätten ein Abschiebedefizit, verkennt, wer die Menschen sind, die in unseren Kommunen unter der Ausreisepflicht leben müssen. Die allermeisten von ihnen haben eine Duldung.
(Zuruf des Abg. Alexander Throm [CDU/CSU])
Die Gründe dafür sind vielfältig, so vielfältig wie die Lebensgeschichten dieser Menschen. Sie sind geduldet, weil sie sich zum Beispiel in einer Ausbildung befinden und eine Ausbildungsduldung haben, die die CDU/CSU-Fraktion mit verabschiedet hat,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU)
oder weil sie nicht in ihr Herkunftsland abgeschoben werden können. Zum Beispiel sind nach wie vor unter den Ausreisepflichtigen viele Afghaninnen und Afghanen. Diese können wir und wollen wir auch nicht abschieben, meine Damen und Herren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Zuruf von der AfD: Doch, wir wollen!)
Auch für sie müssen wir Perspektiven schaffen.
Was stattdessen den Betroffenen und den Kommunen tatsächlich hilft, ist, Chancen zu bieten, Herr Hoffmann, und Perspektiven zu schaffen. Ein Teil des Gesetzpaketes wird sich genau diesen konstruktiven Lösungen widmen: Wir reduzieren etwa die unnötige Bürokratie, indem Aufenthaltstitel länger gelten. Wir sorgen dafür, dass Geflüchtete und Geduldete schneller arbeiten dürfen. Wir verbessern die Beschäftigungsduldung, und auch die Aufenthaltserlaubnis bei Ausbildung weiten wir aus. – Genau das machen wir. Herr Hoppenstedt, haben Sie keine Angst. Das hilft unserer Wirtschaft, das hilft unseren Gastronomen,
(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Das ist lange widerlegt! – Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])
und letztendlich hilft es der gesamten Gesellschaft, weil wir einen Arbeitskräfte- und einen Fachkräftemangel haben, meine Damen und Herren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Sowohl der Deutsche Industrie- und Handelskammertag als auch die Flüchtlingsverbände sind sich darin einig. Dafür haben sie sehr viele konkrete Vorschläge gemacht. Auch diese wollen wir im parlamentarischen Verfahren berücksichtigen.
Wir sind überzeugt, Frau Präsidentin, dass uns diese konstruktiven Lösungen für die Gesellschaft viel mehr bringen. Davon profitieren wir letztendlich alle.
Danke sehr.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Präsidentin Bärbel Bas:
Als Nächster hat das Wort für die AfD-Fraktion Dr. Bernd Baumann.
(Beifall bei der AfD)