Rede von Lamya Kaddor Einreise und Aufenthalt

Lamya Kaddor
14.03.2024

Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Liebe Union, Sie behaupten hier, dass das Bundesverwaltungsgericht eine gefährliche Gesetzeslücke offengelegt habe.

(Philipp Amthor [CDU/CSU]: Die Sie nicht schließen!)

Dieser Aufforderung an den Gesetzgeber möchte man nun nachkommen. So weit, so gut. Tatsächlich findet sich das Wort „erneut“ nicht in Satz 2. Schauen Sie es nach! Es ist dort falsch angegeben. Aber sei’s drum.

Wenn man aber besagtes Urteil liest, stellt man fest, dass die von Ihnen getroffene Schlussfolgerung aus dem Urteil nicht so zwingend ist, wie Sie suggerieren. Schauen wir uns die von Ihnen genannte Fallkonstellation aus dem Jahr 2023 einmal an. Ein Talibanfunktionär – er heißt übrigens Abdul Bari Omar, ehemaliger Minister für öffentliche Gesundheit und derzeit Präsident der Lebensmittel- und Medikamentenbehörde – aus Afghanistan möchte erstmalig nach Deutschland einreisen, um in Moscheeräumlichkeiten der DITIB in Köln einen Vortrag zu halten. Ich möchte kurz einschieben, dass ich schon diese Einladung in die Räumlichkeiten der DITIB in Köln für hochproblematisch halte. Das erwähnen Sie interessanterweise gar nicht.

(Philipp Amthor [CDU/CSU]: Na, toll finden wir es nicht! Das ist eine Selbstverständlichkeit!)

Aber Ihnen geht es ja um etwas anderes. Sie tun so, als hätten wir gegen diese Einreise keine andere Handlungsoption als eine präventive Ausweisung, so wie Sie es gerne hätten. Das sieht das Gericht, das sehen wir anders. Zunächst bräuchte der Taliban einen Aufenthaltstitel. Für ihn bedeutet das, ein Visum zu beantragen.

(Philipp Amthor [CDU/CSU]: Das hat er offensichtlich nicht gebraucht!)

– Hören Sie doch erst mal zu! – Dies würde von der deutschen Botschaft ja wohl direkt versagt. Bei visabefreiten Personen liegen entsprechend andere Ausweisungsinteressen vor, aufgrund derer solche Personen an der Grenze zurückgewiesen werden müssten.

(Christoph de Vries [CDU/CSU]: Die kriegen das doch gar nicht mit!)

Eine zusätzliche präventive Ausweisungsbefugnis ist keinesfalls erforderlich, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Philipp Amthor [CDU/CSU]: Der hatte doch ein Schengenvisum!)

– Ich komme noch dazu.

(Boris Mijatović [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zuhören, Herr Amthor!)

Am überzeugendsten ist für mich jedoch Folgendes: Das Problem mit dem ehemaligen Talibanminister war ja nicht, dass gegen dessen Einreise keine rechtlichen Mittel zur Verfügung standen. Problematisch war doch eher, dass die deutschen Behörden nicht vorher wussten, dass er einreisen wollte. Er erlangte ein Schengenvisum – Sie sagten es gerade – über die niederländische Botschaft in Teheran und reiste über die europäische Binnengrenze nach Deutschland ein.

(Dr. Silke Launert [CDU/CSU]: Finde den Fehler!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, Bundesgesetze zu ändern, um mehr Sicherheit zu gewinnen, ist ein hehres Ziel. Nur müssen solche Verschärfungen zielgenau und auch verhältnismäßig sein. Konkret wollen Sie wegen sage und schreibe zwei bekannten Fällen, in denen zudem Ihre Lösung überhaupt nicht geholfen hätte, gleich das Gesetz ändern. Das nenne ich eine verfehlte Gesetzesinitiative.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP – Philipp Amthor [CDU/CSU]: Natürlich hätte das geholfen! – Moritz Oppelt [CDU/CSU]: Was?)

Zudem wollen Sie mit Ihrem Änderungsvorschlag einen gesetzlichen Unterton einfügen, der Personen bei erstmaliger Einreise in die Bundesrepublik pauschal unter Generalverdacht stellt. Letztlich müssten Sie zur Durchsetzung einer präventiven Ausweisung flächendeckende Grenzkontrollen an unseren Binnengrenzen durchführen. So viel zur Union als Europapartei.

(Marc Henrichmann [CDU/CSU]: Na, wenn es notwendig ist! – Boris Mijatović [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! Schengen abschaffen! Europa zurückdrehen! Das ist die CDU! – Gegenruf des Abg. Thorsten Frei [CDU/CSU]: Probleme muss man lösen! Philosophie reicht da nicht!)

Sehr geehrte Damen und Herren, lassen Sie mich bitte eines festhalten: Über das Ziel sind wir uns doch einig. Personen wie dieser Talibanfunktionär, aber auch international vernetzte Rechtsextreme beispielsweise aus den USA sollen nicht in die Bundesrepublik Deutschland einreisen können. Aus meiner Sicht besteht aber auf europäischer Ebene Handlungsbedarf. Hier muss in erster Linie der Informationsaustausch zwischen den jeweiligen nationalen Behörden funktionieren. Genauso sinnvoll wäre es doch, ein gemeinsames Verständnis in der Europäischen Union bei der Visumserteilung zu erzielen, also dazu, wer eine Gefahr darstellt und wer nicht.

Ansonsten ist unser Rechtsstaat selbstverständlich nicht zahnlos. Für einreisende potenzielle Gefährder/-innen gelten nach wie vor die Regeln des Gefahrenabwehrrechts.

(Christoph de Vries [CDU/CSU]: Gerade „Gefährderinnen“! Davon gibt es eine Menge!)

Beispielsweise prüft die Aufenthaltsbehörde der Stadt Potsdam vorbildlich die Verhängung eines Einreiseverbots gegen den rechtsextremen Vordenker Martin Sellner.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD und des Abg. Stephan Thomae [FDP])

Sie sehen: Das Aufenthaltsrecht bietet bereits einen Werkzeugkasten, um unerwünschte Einreisen zu verhindern. Ihr Gesetzentwurf ist weder notwendig noch geeignet noch verhältnismäßig.

(Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch redaktionell richtig!)

Sie betreiben einmal mehr reine Symbolpolitik.

Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Ich rufe nunmehr auf den Kollegen Stephan Thomae, FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)