Rede von Kai Gehring Bildung und Forschung für Geflüchtete aus der Ukraine

Foto von Kai Gehring MdB
14.12.2022

Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 24. Februar begann Putin seinen brutalen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf die Ukraine. Fast zehn Monate später bringt er immer noch tagtäglich unfassbares Leid über die Zivilbevölkerung: 17 000 Zivilisten wurden verletzt oder getötet; Millionen von Menschen in der Ukraine harren derzeit bei eisigen Minusgraden ohne Strom, Wärme und fließendes Wasser aus; seit Kriegsbeginn sind schätzungsweise 17 Millionen Menschen innerhalb der Ukraine vor den Angriffen geflohen oder haben das Land verlassen.

Fast 1 Million von ihnen haben Zuflucht und ein neues Zuhause bei uns in Deutschland gefunden, darunter viele Schülerinnen und Schüler, Studierende und Forschende, deren Bildungswege und akademische Laufbahnen durch Kampfhandlungen unterbrochen wurden. Auch jetzt, auch heute und so lange, wie es erforderlich sein wird, stehen wir weiter unbeirrt an der Seite der Menschen in der Ukraine,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

indem wir weiter Schutzsuchende in unserem Bildungs- und Hochschulsystem willkommen heißen und indem wir durch Unterstützungsmaßnahmen in der Ukraine auch das dortige Bildungs- und Wissenschaftssystem in den Blick nehmen.

(Maja Wallstein [SPD]: Genau!)

Diese Unterstützung tragen wir als Abgeordnete voran, und darum haben wir als Koalitionsfraktionen schon im Mai diesen Antrag eingebracht. Seitdem ist jeder der Forderungspunkte umgesetzt worden, angefangen mit der Öffnung des BAföG für ukrainische Geflüchtete, unbürokratisch und zackig wie nie zuvor.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Mittlerweile konnte so vieles geschafft werden, und daher danke an alle, die dafür Sorgen tragen! Die Hilfsbereitschaft von Ländern, Kommunen, Bildungs- und Forschungseinrichtungen war von Anfang an großartig. Dieses Engagement aller in Kitas, Schulen, Ausbildungsbetrieben und Hochschulen möchten und müssen wir aufrechterhalten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Aktuell besuchen rund 200 000 Kinder und Jugendliche aus der Ukraine eine deutsche Schule. Respekt vor allen Lehrkräften! Die Länder leisten hier eine große Kraftanstrengung, um Integrationsmaßnahmen unbürokratisch umzusetzen. Zur zentralen Koordinierung dieser Aufgabe hat die Kultusminister/-innenkonferenz eine Taskforce „Ukraine“ eingerichtet. Der Bund unterstützt die Länder umfassend bei der Finanzierung der Ausgaben für Geflüchtete aus der Ukraine, allein in diesem Jahr mit 3,5 Milliarden Euro, und das ist richtig angelegtes Geld.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade in diesen Zeiten stärken wir die Mittlerorganisationen der deutschen auswärtigen Kultur-, Bildungs- und Wissenschaftspolitik institutionell, und über das Sondervermögen konnten wir außerdem zusätzliche Mittel für die Ukrainehilfe zur Verfügung stellen. Das sind Erfolge aus den Haushaltsberatungen, die einen riesigen Unterschied machen, sowohl für unsere deutsche Wissenschaftsdiplomatie als Ganzes als auch für die Einzelschicksale von Menschen, deren Leben durch Russlands Krieg über Nacht auf den Kopf gestellt wurde.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Das zeigt sich auch sehr deutlich bei den Schutzprogrammen für gefährdete Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, zum Beispiel der Philipp Schwartz-Initiative der Alexander von Humboldt-Stiftung, die einen enormen Andrang erfährt.

In Brüssel haben wir uns darüber hinaus dafür starkgemacht, dass es ein EU-weites Scholars-at-Risk-Programm gibt; angesichts der Weltlage und massiver Einschränkungen von Wissenschaftsfreiheit in vielen Ländern auf dem Globus wäre es an der Zeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Für viele ist die neu eingerichtete Nationale Akademische Kontaktstelle Ukraine eine wichtige erste Anlaufstelle, in der alle Angebote gebündelt und strukturiert aufbereitet werden. Das BMBF und der DAAD haben Programme wie „Integra“ und „Welcome“ erweitert und die Programme „Ukraine digital“ und „Digitaler Campus“ ins Leben gerufen. Das Programm „Ukraine digital“ dient übrigens vorrangig der Stabilisierung der ukrainischen Hochschulen vor Ort und ermöglicht Studierenden und Lehrenden aus der Ukraine eine Fortführung ihrer akademischen Laufbahnen, und das ist so wichtig.

Erste Bilanzen zeigen: Der Bedarf ist riesig. Allein das „Integra“-Programm verzeichnete bis September 53 000 Anfragen. Besonders viele Drittstaatenangehörige haben das Programm in Anspruch genommen; das liegt auch an der nach wie vor unsicheren aufenthaltsrechtlichen Situation dieser Gruppe.

Daher appelliere ich noch mal an die Bundesinnenministerin: Unsere Hilfe darf nicht nach Nationalität differenzieren. Laut Schätzungen der Hochschulrektorenkonferenz sind circa 10 000 Studierende aus Drittstaaten nach Deutschland geflohen. Diese Menschen sind vor dem gleichen Krieg geflohen wie gebürtige Ukrainerinnen und Ukrainer; sie müssen das gleiche Recht auf Schutz erhalten, um ihr Studium hierzulande fortzusetzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Es ist ja gut, dass einzelne Bundesländer Sonderregelungen für internationale Studierende aus der Ukraine erlassen. Was es braucht, ist aber endlich eine bundesweite Lösung für diese Menschen, die ihnen die Angst vor der Abschiebung nimmt.

(Beifall der Abg. Nina Stahr [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Prioritätensetzung des Bundesinnenministeriums mit Blick auf das Prinzip der Gleichbehandlung, aber auch mit Blick auf 10 000 potenzielle Fachkräfte in unserem Land ist mehr als fragwürdig.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Dr. Götz Frömming [AfD]: Ach!)

Meine Damen und Herren, Wissenschaftsfreiheit und das Recht auf Bildung sind Gradmesser für Demokratie und Menschenrechte. Russlands Angriffskrieg ist auch ein Feldzug gegen diese Werte. Unsere Antwort ist Solidarität und Stärkung der Menschen im Bildungs- und Wissenschaftssystem – und das auch weiterhin, auch im zehnten Monat des Kriegs, so lange, wie es notwendig ist. Unsere Botschaft bleibt: Wir stehen weiter an eurer Seite.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Herr Kollege Gehring. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Nicole Gohlke, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)